
Abt Urban am Hochfest der Gottesmutter Maria – Neujahr 2023
Liebe Schwestern und Brüder in Christus
Warum tun Sie sich das an? Ich spreche nicht davon, dass Sie sich am Neujahrsmorgen so früh aus dem Bett gerissen haben, um in dieser kalten Kirche ein paar erwärmende Minuten zu geniessen. Warum tun Sie sich als Eltern an, Ihre Kinder für etwas zu begeistern, wenn diese das gar nicht wollen? Warum haben Sie sich um eine Familie gekümmert, wenn heute im Alter Sie niemand mehr besuchen kommt? Warum engagieren Sie sich in der Kirche, wenn die Menschen immer weniger von ihr wissen wollen? Warum tun Sie sich das an, dass Sie sich freiwillig für das Gute in unserer Gesellschaft engagieren, um dafür statt Dank vor allem Kritik einstecken zu müssen? Wenn wir heute ein neues Jahr beginnen, können wir unserem Leben eine neue Chance geben. Aber die Frage verschwindet deswegen nicht: Warum tun wir uns das an?
Die Kirche beginnt das neue Jahr an der Hand der Gottesmutter Maria. Spätestens unter dem Kreuz ihres Sohnes muss Maria sich die Frage so oder ähnlich gestellt haben: Warum habe ich mir das alles angetan? Hätte sie Gott ihr Ja gegeben, wenn sie gewusst hätte, wie alles kommen wird? Solche Fragen bringen wohl nichts, sie können den Lauf unseres Lebens nicht ändern, aber sie kommen dem Kern unseres Daseins näher: Warum tue ich, was ich tue?
Die Weihnachtsgeschichte bringt uns zur ersten Konsequenz davon, dass Maria ja gesagt hat: In ihr wird Gott Mensch. Darum ist die erste Botschaft der Engel an die Hirten auf dem Feld: «Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr.» Wenn wir heute hier sind, obwohl wir etwas anderes hätten tun können, dann darum, weil wir von Jesus Christus Rettung, Heil erwarten. Das Entscheidende in dieser Geschichte ist, dass die Hirten diese Botschaft nicht nur hören, sondern gehen, schauen und ihre Glaubenserfahrung in ihrem Alltag teilen: «Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten.» Und dies, obwohl das Zeichen für ihren Glauben einzig ein kleines Kind in einer Futterkrippe ist, also nichts, was sofort all meine Fragen beantwortet.
Die Hoffnung auf das Heil in Jesus Christus wächst unter den Hirten beim Teilen ihrer Glaubenserfahrung. Diese Haltung wird auch Maria zugesprochen. Der Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux aus dem 12. Jahrhundert wollte für andere erfahrbar machen, was Jesus Christus uns Menschen bringt. Das tönt in der mystischen Sprache Bernhards so: «Christus ist Honig für unseren Mund, Gesang für die Ohren und Freude für unser Herzen.» Und wer brachte uns Gott in Christus so nahe, dass dieser in unserem Mund, in unserem Ohr, ja in unserem Herzen leben und sein kann? Seine Mutter Maria. Der hl. Bernhard ruft uns deswegen auf, wie Maria zu leben und Christus zu anderen zu bringen. Bernhard braucht für Maria das Bild des Aquaedukts, der Wasserleitung: So wie uns das Wasser umsonst zufliesst, uns erfrischt, erfreut und reinigt, soll das Wasser durch uns zu anderen Menschen gelangen. Die Hoffnung, die Maria empfangen hat, war nicht ihr Besitz, sondern für die ganze Welt bestimmt.
Liebe Mitchristen, es wäre schön, wenn wir im neuen Jahr diese marianische Aufgabe jeden Tag ein bisschen mehr wahrnehmen könnten: das göttliche Wasser zu empfangen und durch uns anderen Menschen weiterzuleiten! Das Wasser, das wir teilen können, wird in der heutigen Lesung aus dem Brief an die Gemeinde in Galatien so umschrieben: Gott sandte seinen Sohn, geboren von Maria, damit wir die Gotteskindschaft erlangen. Wir sind mit Weihnachten zu Gottes Töchter und Söhnen geworden. Das ist unsere Berufung, das ist unsere Würde, das ist unsere Freiheit, auch wenn wir uns gerade mit der Frage herumschlagen: Warum tue ich mir das alles an! Unsere marianische Aufgabe besteht darin, unseren Mitmenschen das Gefühlt zu schenken, dass sie frei sind, keine Sklaven von «du musst» oder «warum habe ich mir das angetan.» Wir leben unser Leben, wir tun, was wir tun, weil wir eine Hoffnung haben. Wir haben alle Anteil am göttlichen Wasser, am Sohn Marias, den sie jeder und jedem entgegenstreckt, der diese Kirche betritt: schon beim Eingang sichtbar hier oben im Weihnachtsbild, oder hinten in der Gnadenkapelle als Schwarze Madonna. So dürfen wir heute am ersten Tag des Jahres 2023 in dieser Feier unsere Würde als Gotteskinder neu entdecken und es wie Maria tun: Unsere Würde als Gotteskinder wie eine Wasserleitung weitergeben und damit andere erfrischen. Diese Freiheit und diese Hoffnung müssen geteilt werden, sie sind eine frohe Botschaft! Unsere Welt braucht unsere Hoffnung, vor allem all jene, die sich zur Zeit fragen: Warum tue ich mir das alles an?