Profess-Predigt von P. Martin Werlen an Mariä Empfängnis

08.12.2022

„Kein Mangel ist so gross wie…“

Liebe Schwestern und Brüder, versuchen Sie einmal diesen Satz spontan zu vervollständigen! „Kein Mangel ist so gross wie…“

Der tiefgründige Dichter Konrad Weiss, der 1940 gestorben ist, schreibt: „Kein Mangel ist so gross wie Gottes Ankunft.“ Dieser starke Satz passt zur Adventszeit: adventus Domini – der Zeit der Sehnsucht nach der Ankunft des Herrn. Er passt in die Zeit fürchterlicher Kriege und Katastrophen, in die Not so vieler Menschen. „Kein Mangel ist so gross wie Gottes Ankunft.“ Was wir, die wir jetzt hier zum Gottesdienst versammelt sind oder daheim mitfeiern, beitragen können, dass dieser Mangel behoben wird? Das Hochfest der Muttergottes, das wir feiern, und die Feierliche Profess von Br. Klemens, die wir miterleben dürfen, könnten für uns alle Ansporn sein, Gottes Ankunft zu ermöglichen.

Gott suchen! Dazu fordert uns der heilige Benedikt auf. Er ist überzeugt: Gott ist überall gegenwärtig. Das bekennen wir übrigens auch in jeder Eucharistiefeier, wenn wir singen: „Himmel und Erde sind erfüllt von deiner Herrlichkeit.“ Himmel und Erde! Gott suchen ist nicht einfach, das weiss Br. Klemens aus eigener Erfahrung. Da beginnen wir alle zu leetschenen. Nachdem Abt Urban ein eventuelles Wort in Walliserdeutsch angekündigt hat, sage ich gerne ein ermutigendes Trostwort für die Leute aus dem Lötschental in unserer Muttersprache: Liäbi Leetschini, Gott süächä ischt nit eifach. Da chan ich euw abär treeschtä: Das ischt nit nummä bi euw äso, das ischt äs öi bi insch Gommini. Welches Geschenk, wenn uns aufgeht, dass wir Gott nicht dort suchen müssen, wo wir gerne sein möchten. Wir dürfen Gott da suchen, wo wir sind: inmitten der Menschen, mit denen wir zusammenleben; inmitten der Freuden und Sorgen unseres Lebens; im Gelingen und im Misslingen; jetzt in diesem Gottesdienst, nachher beim festlichen Mittagessen. Gott suchen: das ist eine Lebenskunst, die wir täglich üben können. Und wenn wir davonlaufen? Einfach zurückkehren zu dieser Lebenshaltung und sie von neuem wagen: Gott suchen da, wo ich bin. Was passiert mit Menschen, die Gott suchen? Finden sie Gott? So einfach ist das nicht. Das wissen wir alle. Vielleicht kann man die Erfahrung tiefgläubiger Menschen anders beschreiben:

Gott suchen – und gefunden werden. Maria hat als gottsuchender Mensch gelebt. Und sie wurde gefunden. So haben wir es vorhin im Evangelium gehört: „In jener Zeit wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu Maria gesandt.“ Der Engel sagt zu der gottsuchenden Frau: „Der Herr ist mit dir.“ Übrigens: Diese Zusage haben wir in diesem Gottesdienst bereits zweimal zugesprochen erhalten. Abt Urban hat uns das am Anfang versichert und P. Justinus, der Novizenmeister, zu Beginn des Evangeliums. Dieses grossartige Wort wird uns in dieser Feier noch zweimal gesagt. Wir tun also gut daran, jetzt wirklich Gottsuchende zu sein. Gott suchen – und gefunden werden: Auch das ist nicht so einfach, wie es tönt. Wir haben es im Evangelium bei der Berufungsgeschichte Marias gehört. Die erste Reaktion von Maria: sie erschrak. Dann überlegt sie, versteht nicht, fragt nach. Erst nach einem spannenden Hin und Her antwortet sie: «Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast.» Ist das nicht eine grossartige Erklärung dessen, was die Feierliche Profess ist? Ein langes Hin und Her, Erschrecken, Fragen, und dann das Ja. Damit ist aber nicht alles getan. Gott suchen – und gefunden werden ist nicht im Kämmerlein in Nazareth erledigt, auch nicht in der Feier der Ewigen Profess. Gott suchen und gefunden werden: Das ist der Alltag des glaubenden Menschen.

Wie sieht das konkret aus? Nehmen wir ein Beispiel aus dem Alltag von Br. Klemens. Das Gebet und der Gottesdienst sind ihm wichtig. Mit Maria betrachtet er im Rosenkranzgebet gerne das Leben Jesu. Wichtig ist ihm auch die Anbetung. ‘Anbeten’ kommt in der Benediktsregel, dem Leitbild, das der hl. Benedikt vor 1500 Jahren für Mönche geschrieben hat, nur einmal vor. Überraschenderweise kommt es nicht in den vielen Kapiteln über das Gebet und den Gottesdienst vor, sondern im Kapitel über die Gäste des Klosters. Dort heisst es:

«Wenn Gäste ins Kloster kommen, werden sie wie Christus empfangen, denn er wird einmal sagen: ‚Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen.‘ Die für die Gäste Verantwortlichen verneigen sich vor ihnen und begrüssen sie ehrfurchtsvoll, um in ihnen Christus anzubeten, der ja auch wirklich aufgenommen wird.“

In den Gästen wird Christus angebetet! Da merken wir: Gottesdienst und Alltag sind eins. Wirklich Gottsuchende werden von ihm beim Beten gefunden, bei der Lesung, bei der Arbeit, beim Reisen, im Grossen und im Kleinen, im Guten und im Schwierigen. Gott suchen und gefunden werden: Dazu sind wir alle von Gott erwählt – weil er uns liebt.

Liebe Schwestern und Brüder

„Kein Mangel ist so gross wie Gottes Ankunft.“ Was wir dazu beitragen können, dass dieser Mangel behoben wird, lernen wir bei der Gott suchenden und von ihm gefundenen Maria. Br. Klemens wagt den Schritt, diese Haltung in unserer Klostergemeinschaft zu leben. Er wird seine Hingabe nachher in einer eindrücklichen Haltung zum Ausdruck bringen: sich vertrauensvoll hinlegen. Ist das nicht der Moment, in dem wir alle unser eigenes Ja zu Gott neu wagen und vertiefen wollen? So können auch wir mit Br. Klemens beten:

„Hilf uns zu erkennen, dass auch unser Leben vom Ja Gottes getragen ist. Zeige mir, wie ich aus diesem Ja Gottes leben darf und wie diese Zuversicht unser ganzes Leben verwandeln wird. Amen.“