
P. Lorenz Moser zum 32. Sonntag im Jahreskreis
Liebe Brüder und Schwestern
Was erwartet uns nach dem Tod? Diese Frage ist wohl so alt wie die Menschheit, und die Antwort ist auch heute noch die gleiche wie eh und je: wir wissen es nicht!
Ja, wir wissen es nicht. Es gibt zwar die verschiedensten Vorstellungen, sei es als Produkt der menschlichen Fantasie oder als Ergebnis menschlichen Denkens; Religionen und Philosophien sprechen in vielfältiger Weise davon, aber es ist kein Wissen; es sind mehr oder weniger plausible Mutmassungen, mitbestimmt von unseren Erfahrungen, vielfach auch von unseren Wünschen und Erwartungen. Doch wie es effektiv sein wird, wissen wir nicht.
Zwei dieser Vorstellungen begegnen uns im heutigen Evangelium: jene der Sadduzäer, welche die Auferstehung leugnen; sie glauben, in der Schrift einen handfesten Beweis dafür gefunden zu haben, denn eine Frau, die in diesem Leben (legitimerweise) 7 Männer gehabt hat, kann sie doch im Jenseits nicht gleich-zeitig haben, also gibt es keine Auferstehung. Jesu Antwort ist ebenso simpel und einfach: im jenseitigen Leben gelten andere Regeln, da wird nicht mehr geheiratet. Und auch er zitiert als „Beweis“ die Heilige Schrift: der Herr wird beim brennenden Dornbusch als Gott Abrahams, als Gott Isaaks und als Gott Jakobs bezeichnet – und Gott ist doch ein Gott der Lebenden, also gibt es ein Leben nach dem Tod. Aussage gegen Aussage, beide aus der Hl. Schrift begründet!
Beim Blick aufs Jenseits sind wir uns gewohnt, unsere menschlichen Gedanken und Vorstellungen vom Diesseits ins Jenseits hinein zu übertragen und sie entsprechend anzupassen, in der Annahme, dass es nach dem Tod irgendwie ähnlich weitergehen wird, obwohl wir sagen, Gott sei der ganz andere, und obwohl es im 1. Johannesbrief heisst: «was wir sein werden, ist noch nicht offenbar». Dabei stossen wir immer wieder an Grenzen.
Ein Beispiel: es ist für uns logisch und selbstverständlich, dass das Gute belohnt und das Böse bestraft werden soll. Dieser Gedanke ist zwar sehr wertvoll, wenn er uns dazu bewegt, das Gute zu tun und das Böse zu meiden, doch gilt er auch im Jenseits, lässt er sich auch auf Gott übertragen? Ist Gott der gerechte Richter, der konsequent das Gute belohnt und das Böse bestraft und im schlimmsten Fall auch von der Höllenstrafe nicht zurückschreckt? Oder ist er der barmherzige Gott, der auch die grösste Schuld noch verzeihen wird? Wir wissen es nicht, und diese Ungewissheit lässt beides zu, je nachdem, welches Gottesbild wir in uns tragen: Vertrauen und Zuversicht oder Furcht und Angst, bis hin zur Höllenangst. Leider gab und gibt es auch in der christlichen Tradition immer wieder Jenseitsvorstellungen, die eher Angst und Furcht einflössen, statt Vertrauen zu wecken.
Hier sei noch eine kleine Klammer erlaubt: wenn heute so oft von Machtmissbrauch in der Kirche geredet wird, sollten wir nicht vergessen: auch das Drohen mit der Höllenstrafe kann eine Form von geistlichem Machtmissbrauch sein!
Unser Nachdenken über das Jenseits und die Art und Weise, wie wir uns dieses Jenseits vorstellen und damit umgehen, ist alles andere als nebensächlich und bedeutungslos, denn es kann für unser Leben einschneidende Konsequenzen haben.
Wer überzeugt ist, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, wird sich in diesem Leben anders einrichten als jener, für den mit dem Tod alles zu Ende ist.
Wenn wir auch nicht wissen, was uns nach dem Tod erwartet, so sind wir doch in der glücklichen Lage, dass uns der christliche Glaube eine Perspektive der Hoffnung und der Zuversicht anbietet. Die hl. Schrift, insbesondere das NT, ist voll von positiven Hinweisen auf das, was nach dem Tod kommen wird, ohne dass wir auf einzelne Details konkrete Auskunft erhalten. Wir dürfen uns auf die Erfüllung und Vollendung unseres Lebens freuen, und es sollte unser stetes Bestreben sein, dass wir uns von dieser Hoffnung und Zuversicht mehr und mehr durchdrin-gen lassen.
Das ist das Entscheidende für unser christliches Leben, das Entscheidende auch für unser Zeugnis in der Gesellschaft von heute. Für Dogmen und Glaubenssätze haben unsere Zeitgenossen wohl kaum ein grosses Interesse, sie stehen deshalb auch nicht im Vordergrund unseres christlichen Zeugnisses, obwohl sie für unser eigenes Glaubensleben wichtig sein mögen; womit wir heutige Menschen, die uns begegnen, überzeugen können, ist die Erfahrung, dass uns der Glaube einen festen Grund und Boden schenkt.
Wenn wir unseren Mitmenschen zeigen können, wie man aus diesem Gottvertrauen leben kann und wie wertvoll dieses Gottvertrauen ist, werden sie vielleicht den Weg zu diesem Gottvertrauen und damit zum Glauben auch wieder finden. Amen.