P. Daniel Emmenegger zu Allerseelen

02.11.2022

Es gibt Menschen, die am Zustand unserer Welt verzweifeln. Die Tatsache, dass wir nicht in einer heilen, sondern in einer zutiefst korrupten – verdorbenen, verwüsteten, verfälschten Welt leben, in der Unehrlichkeit scheinbar belohnt und Ehrlichkeit bestraft wird, lässt sie zwischen Wut und Verzweiflung oszillieren.

Ein solcher Mensch sagte mir neulich, er habe genug. Er könne nicht mehr weiter in dieser Welt leben. Ihm bleibe nur noch der Freitod. Gemeint war natürlich, dass er seine letzte Stunde nicht abwarten oder erwarten will, sondern sie selber «wählt», indem er seinem Leben ein Ende setzt. Tod nicht als etwas, das mir zukommt, sondern als etwas, das ich aus «freien» Stücken herbeiführe – in der expliziten oder auch mehr unausgesprochenen Erwartung, dadurch von dieser korrupten Welt erlöst zu werden.

Nun aber: Ist solch herbeigeführter Tod wirklich ein «freier» Akt? Kann der Mensch frei wählen, wenn Wut und Verzweiflung ihn gefesselt halten? Werden diese Fesseln nach dem Tod automatisch gelöst? Unsere Tradition, die sich gerade auch in den Gebeten von Allerseelen ausdrückt, scheint nicht einfachhin davon auszugehen. Warum sonst sollten wir für die Verstorbenen noch um «Befreiung aus den Fesseln des Todes» beten (Gabengebet), zu denen auch Wut und Verzweiflung gehören?

Der Tod ist nicht unser Erlöser! Der Tod befreit nicht von der korrupten Welt! Der Tod löst keine Fesseln aus Wut und Verzweiflung! Das Evangelium, das uns am Gedenken «Aller Seelen» eben verkündigt wurde, stellt uns in der Person Jesu einen ganz anderen Erlöser vor Augen. Ist es nicht erschütternd zu hören, wie Jesus einen schon längst begrabenen und halbverwesten Leichnam, der schon riecht (Joh 11,39), ins Leben zurückruft!? Sollte er, der solche Macht hat, nicht jeden Menschen ins Leben rufen können, sei er nun schon gestorben oder sozusagen «lebendig tot» mit dem Verwesungsgeruch von Wut und Verzweiflung?

Jesu lautes Rufen ist unsere Hoffnung für die Lebenden und die Toten: «Lazarus, komm heraus – komm heraus!» Amen.