
P. Benedict Arpagaus zum Ersten Adventssonntag
Erwartet den Herrn,
steht als Knechte bereit an der Tür.
Schon jauchzt jeder Stern,
seht, er kommt,
seht, er kommt, wir sind hier.
Komm, Herr Jesus, Maranatha!
Entzündet die Lampen,
ihr Mägde, erglühet im Geist
im Kommen des Ewig-Geliebten,
der Kyrios heisst.
Komm, Herr Jesus, Maranatha!
Diesen Hymnus singen wir Mönche in der Adventszeit zur Eröffnung der ersten gemeinsamen Gebetszeit in den frühen Morgenstunden, der Vigil. In den Worten des Hymnus wird die Haltung des adventlichen Menschen ausgedrückt. Ein adventlicher Mensch ist voller Erwartung, voller Sehnsucht, sein Geist erglüht und sein Herz brennt, angesichts dessen, was ihn erwartet: der Ewig-Geliebte. In diesem Hymnus spüre ich förmlich die brennende Sehnsucht. Die Knechte stehen bereit an der Tür, sie erwarten sehnlichst ihren Herrn. Die Mägde zünden voll Eifer die Lampen an, erhellen das Haus, wobei schon ihre Herzen leuchtend brennen in der sehnsuchtsvollen und frohen Erwartung ihres Herrn. Denn er ist ein guter Herr, einem guten Hirten gleich, der kommt, um das Verlorene zu suchen und heimzuführen, der kommt, um zu verbinden, was verwundet ist.
Wer von uns hat noch nie etwas oder jemanden sehnlichst erwartet? Wohl jeder und jede von uns. Und wessen Erwartung und Sehnsucht wurde schon mal enttäuscht, durchkreuzt und blieb unerfüllt? Wir alle haben solche Erfahrungen gemacht. Manche dieser Erfahrungen prägen im Unterbewussten unsere Art des Glaubens und Vertrauens. Und so gehen wir von unseren menschlichen Erfahrungswerten aus, wenn in adventlichen Texten von „Erwartung“ und „Sehnsucht“ die Rede ist. Da schwingen unsere durchkreuzten und verwundeten Lebenserfahrungen mit hinein. Wenn wir dann noch über unsere persönliche Erfahrungswelt hinausschauen, was wollen wir angesichts der aktuellen Weltsituation erwarten? Gibt es da noch etwas zu erwarten, etwas Besseres, etwas Gutes? Was dürfen wir denn noch erhoffen? Ist die Sehnsucht nach dem Schönen, nach dem Guten und Wahren, nach Liebe und Frieden nicht Zeitverschwendung? Und Gott? Gibt es ihn wirklich? Und wenn es ihn gibt, hat er uns nicht längst vergessen, nach allem, was wir erfahren in dieser ver-rückten Welt?
Ähnliche Fragen bedrängten auch die Menschen zu der Zeit, als der Abschnitt des heutigen Evangeliums nach Matthäus verfasst worden war. Probleme globalen Ausmaßes waren damals kein Thema, aber nicht weniger plagten Sorgen und Ängste die junge christliche Gemeinde. Jerusalem war von den Römern zerstört, die jüdische Gemeinde vertrieben und zerstreut, und die junge christliche Gemeinde – von den Juden angefeindet – in doppeltem Sinne heimatlos. Und es war noch nicht so lange her, als Jesus geboren worden war, er die Frohe Botschaft verkündet und Kranke geheilt, sowie vielen Menschen neue Hoffnung geschenkt hatte, weil er von Gott gesprochen hatte wie von einem liebevollen Vater. Jesus, der dieser Botschaft treu geblieben war bis zum Tod am Kreuz. Jesus, der von den Toten auferstanden war. Wie hatten sie geglaubt und gehofft, dass nun bald alles gut werden würde. Doch nun das! Welche Katastrophe für die junge Christengemeinde damals! Was wollte sie in dieser furchtbaren Situation noch erwarten und erhoffen? War die Versuchung nicht gross, von der Sehnsucht nach dem Ewig-Geliebten zu lassen? Brannte ihr Herz noch? Und die Worte im heutigen Evangelium deutete der damals jungen Christengemeinde noch weitere Erschütterungen an, die folgen sollten. Erlosch nicht die eine oder andere Lampe angesichts solcher Worte?
Die heutigen biblischen Texte und auch der genannte Hymnus zum Advent wollen gerade nicht bei der durchkreuzten Erwartung und bei der unerfüllten Sehnsucht stehen bleiben. Hier geht es nicht um menschliche Erfahrungswerte, sondern um die Vertrauensfrage, die uns diese Texte hartnäckig stellen: Glaubst du immer noch? Das heisst, bist du immer noch bereit, dem Herrn, deinem Gott, einen Vertrauensvorschuss zu schenken, seiner Treue zu trauen und seinen Verheissungen? Selbst dann, wenn alle äusseren Ereignisse von Gewalt und manch innere Not deinen Glauben und dein Vertrauen mitleidig belächeln und runterziehen, sie als Selbstbetrug und Täuschung verhöhnen?
Als Kind in den 1970er Jahren durfte ich in der Bündner Heimat erfahren, dass in der Regel alle Haustüren im Bergdorf offen waren. Fast nie wurden Türen abgeschlossen. Offenbar hatten die Leute keine Angst. Offenbar hatten die Leute Vertrauen. Die Leute hatten keinen Grund, Schlechtes zu erwarten und so blieben viele Türen offen.
Das ist die Grundhaltung der Knechte und Mägde im genannten Hymnus. Sie wissen, mit wem sie rechnen dürfen, nicht mit irgendeinem Herrscher, sondern mit dem Ewig-Geliebten. Sie wissen, von IHM dürfen sie alles Gute erwarten und die Erfüllung ihrer Sehnsüchte und Hoffnungen im Übermass. Was sind 2000 Jahre schon für den Kosmos? Und erst recht für den Ewigen, den Ewig-Geliebten?
Offenbar behielt die junge Christengemeinde damals, welche das Matthäusevangelium im Blick hat, unbeirrt im Glauben an Jesu Christi Botschaft verankert. Sie liess ihre Türe offen, ihre Lampen brennen und schenkte ihrer Sehnsucht nach dem Ewig-Geliebten, der alles GUT macht (vgl. Mk 7,37), immer wieder neuen Raum. Ja, natürlich. Da ging auch eine Türe wieder zu. Dort erlosch eine Lampe. Doch ein Nachbar klopfte vielleicht daraufhin sanft an die verschlossene Türe. Und eine Nachbarin zündete mit ihrem Licht die Lampe der anderen wieder an. Und so ging es weiter und weiter, über Jahrhunderte hinweg, schon 2000 Jahre. Unzählig viel Gutes ist in dieser Zeit aufgeblüht, wunderbare Frauen und Männer haben im Geiste Jesu gelebt, und immer wieder wurden verschlossene Türen geöffnet und erloschene Lampen neu angezündet. Wie viel dunkler und trauriger wäre die Welt ohne diese Zeugnisse von Menschen gewesen, die sich ihre frohe Erwartung und ihre hoffnungsvolle Sehnsucht nach dem Ewig-Geliebten trotz der Widerwärtigkeiten ihrer Zeit nicht nehmen liessen!
Du wirfst dein Feuer zur Erde
und willst, dass es brennt.
Und wir sind der Mund,
der anbetend dein Kommen bekennt.
Komm, Herr Jesus, Maranatha!
– so die letzte Strophe des Hymnus.
Christus will, dass es brennt. Er will, dass wir für ihn und sein Evangelium brennen, gerade in dieser, heute mehr denn je, gefährdeten und verwundeten Welt. Wir sollen uns nicht unterkriegen lassen, uns nicht lähmen lassen von den vielen unheilvollen Botschaften. Es gilt für uns, den Blick auf Christus ausgerichtet zu halten, für ihn die Türe offen zu lassen, unsere Herzen, gleich brennenden Lampen, ihm entgegenzuhalten und unbeirrt in das Bekenntnis und Zeugnis der unzähligen Frauen und Männer einzustimmen, welche seit Jesu Christi Auferstehung an vielen Orten dieser Welt aufgeleuchtet sind. Wir tun dies auch, indem wir heute nach der Wandlung von Brot und Wein das Geheimnis unseres Glaubens in Worte fassen, mit dem – wie es der Theologe Klaus Müller sagt – ältesten Adventslied:
„Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“