P. Mauritius Honegger am Rosenkranz-Sonntag 2022

02.10.2022

Liebe Mitchristen

Bei den Schweizergardisten in Rom gibt es einen ganz besonderen Dienstposten. Er befindet sich sozusagen im Herzen des Apostolischen Palastes, direkt neben der Sixtinischen Kapelle. Es ist ein sehr prunkvoller, hoher Raum und die Wände sind mit grossen Bildern ausgemalt. Diese Bilder sind aber nicht einfach zufällig dort, sondern es handelt sich um ein ganz bewusst gestaltetes Bildprogramm.

Der Raum, von dem ich spreche, heisst Sala Regia, auf Deutsch: Königssaal. Als dieser Teil des Apostolischen Palastes gebaut wurde, damals im 16. Jahrhundert, war die Sala Regia als Audienzhalle für den Empfang von Königen und königlichen Gesandten geplant. Um diesen hochkarätigen Gästen gleich von Beginn weg zu verstehen zu geben, wo sie sich befinden und mit wem sie es hier zu tun haben, hat man dieses Bildprogramm entworfen und dafür die besten Maler der damaligen Zeit engagiert.

Die Bilder in der Sala Regia zeigen den Triumph der Kirche im Kampf gegen äussere und innere Feinde: Kaiser und Könige verbeugen sich vor dem Papst und machen ihm Geschenke. Die Bartholomäusnacht setzt dem Protestantismus in Frankreich ein jähes Ende. Und in der Schlacht von Lepanto besiegt die sogenannte Heilige Liga die Flotte des osmanischen Reiches.

Es war der Renaissance-Künstler Giorgio Vasari aus Arezzo, der vom Papst den Auftrag erhielt, die Ereignisse dieser historischen Seeschlacht in einem Bilderzyklus festzuhalten. Der Kampf wird auf verschiedenen Ebenen geführt: unten auf dem Wasser die Galeeren und Kriegsschiffe, und oben im Himmel, sozusagen in der metaphysischen Sphäre, kämpft Christus mit seinen Engeln gegen die Mächte des Bösen.

Nicht nur dieser monumentale Bilderzyklus im Vatikan hält die Erinnerung an die Schlacht von Lepanto aufrecht, sondern auch das Fest, das wir heute feiern. Es stammt aus derselben Zeit wie die Sala Regia und ihr Bildprogramm. 1572, also vor genau 450 Jahren, wurde dieser Mariengedenktag in der katholischen Kirche zum ersten Mal begangen, in Erinnerung an den Sieg gegen die Türken, ein Jahr zuvor, am 7. Oktober 1571.

Diese Form von kirchlichem Triumphalismus erleben wir heute fast nicht mehr. Neben dem heutigen Gedenktag mit seinen Kanonenschüssen ist es vielleicht am ehesten das bekannte Lied aus dem Kirchengesangbuch: «Ein Haus voll Glorie schauet», in dem ein solches Kirchenbild noch erfahrbar ist. Das Haus voll Glorie, das ist die Kirche, sie ist aus ewigem Stein erbauet und wird niemals einstürzen. Der Dogmatikprofessor und Jesuit Medard Kehl (+ 2021) spricht in diesem Zusammenhang von der «petrifizierten» Kirche. Der Begriff erinnert an Petrus, den Fels. Die Kirche ist auf einem festen Fundament gebaut. Die Stürme, die heute über die Kirche hinwegfegen, können sie nicht ins Wanken bringen.

Vielleicht trauern einige von uns dieser glorreichen Zeit nach, die noch gar nicht so lange zurückliegt. Damals konnte man noch stolz sein, wenn man katholisch war, weil die Kirche ein wichtiger Player in der Weltpolitik war und sich kraftvoll gegen den Modernismus stämmte, oder gegen den Kommunismus oder eine andere gefährliche Ideologie.

Heute ist die Kirche an einem anderen Punkt. Das Bild der triumphierenden Kirche ist einer verletzlichen Kirche gewichen. Der Missbrauchsskandal und andere Probleme haben das Fundament der Kirche erschüttert. Man ist plötzlich nicht mehr so sicher, ob das glorreiche, auf Fels gebaute Haus nicht doch noch einstürzen könnte.

Früher hat die Kirche keine Schwäche gezeigt. Sie schien praktisch unverwundbar. Aber das war eine Täuschung. Wir haben die eigene Verletzlichkeit einfach ausgeblendet. Dabei fehlte auch in Lepanto nicht viel und die Schlacht hätte ganz anders ausgehen können. Wenn man einen Sieg erringt, denkt man schnell, dass man unbesiegbar ist.

Heute ist das Gegenteil der Fall. Die Kirche ist an verschiedenen Fronten so sehr unter Druck geraten, dass wir völlig entmutigt sind, dass wir uns schwach und ohnmächtig fühlen angesichts der vielen ungelösten Probleme. Aber auch das ist eine Täuschung. Die Kirche ist immer beides zugleich: stark und schwach, kraftvoll und verwundbar, unbesiegbar und doch auch verletzlich.

Heute, in dieser Krise, müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass die Kirche stark und unbesiegbar ist. Aber nicht, weil wir so gut sind, nicht, weil wir moralisch überlegen oder intelligenter wären als andere, sondern weil der Geist Gottes in dieser Kirche wirkt, weil sie der Leib Christi ist, der verwundet wurde und sogar am Kreuz gestorben ist, der aber auch triumphiert hat über den Tod und siegreich auferstanden ist. Wir müssen uns immer beide Dimensionen vor Augen halten: Verwundbarkeit und Triumph.

Und noch etwas können wir mitnehmen von diesem Fest, das aus einer anderen Zeit stammt und heute fast ein wenig wie ein Anachronismus wirkt. Der Gedenktag unserer Lieben Frau vom Rosenkranz ist auch ein Zeugnis für den Glauben an die Wirksamkeit des Gebets. Damals, vor 450 Jahren, war man überzeugt, dass diese militärische Auseinandersetzung gegen einen übermächtigen Feind nur deshalb ein gutes Ende genommen hat, weil Menschen überall auf der Welt dafür gebetet haben. Besonders der Fürsprache der Gottesmutter Maria wurde dieser glückliche Ausgang zugeschrieben.

Und an das Gebet erinnert uns auch die Lesung aus der Apostelgeschichte: Nach der Himmelfahrt Jesu sind die Apostel vereint mit Maria und «verharrten einmütig im Gebet». Angesichts der vielen Krisen, mit denen wir heute konfrontiert sind – mit dem Krieg in der Ukraine, mit der drohenden Strommangellage, mit der hohen Inflation und den steigenden Zinsen, mit der Corona-Pandemie, von der man nicht genau weiss, ob sie vorbei ist oder im Winter wiederkommt – angesichts all dieser Unsicherheiten wollen wir dem Vorbild der Urgemeinde folgen und uns als weltweite Glaubensgemeinschaft zum Gebet vereinen. Und gerade das Rosenkranzgebet ist eine passende Form dafür, gerade auch jetzt im Rosenkranzmonat Oktober, und gerade auch in diesem Heiligtum hier, zu Ehren der Rosenkranzkönigin Maria.

Amen.