
Predigten an „Engelweihe“ 2022
Anlässlich des Weihefestes unserer Gnadenkapelle hielten Abt Urban und Pater Jean-Sébastien eindrückliche Predigten. Wer dem Geheimnis von „Engelweihe“ etwas näher kommen möchte, findet darin hilfreiche Impulse.
Predigt von Abt Urban Federer am „Engelweihamt“ um 19.00 Uhr am 13. September 2022
Liebe Schwestern und Brüder
Mögen Sie lateinische Gesänge, wie uns die Schola vorhin einen vorgetragen hat? Zumindest können Sie einen solchen Gesang nicht scheusslich finden, sonst wären Sie wohl nicht hier oder hätten sich nicht über Livestream zugeschaltet. Dieser Gesang eröffnet einen Raum, in dem offenbar nicht das einzelne Wort zählt und auch nicht die Zeit – wir verstehen den Text ja nicht und einen Takt kennt dieser alte Gesang nicht. Wer diese einstimmige Musik mag, der oder dem eröffnet sich damit ein Raum des Heils zuerst für das Ohr und dann für das Herz: Diese Musik tut gut, entschleunigt, führt weiter und öffnet unser Herz für Gott.
Dennoch sind Worte gesungen worden und diese sind nicht unwichtig. Terribilis est locus iste! – «Ehrfurcht gebietend ist dieser Ort!» «Ehrfurcht» meint hier nicht ein wohliges Baden in Gefühlen. Terribilis heisst auch «furchterregend». Diese Worte stammen aus dem Buch Genesis. Der Stammvater Jakob, der auch Israel genannt wird, erschrickt bis in sein tiefes Inneres, dass Gott an dem Ort, wo er zuvor geschlafen hat, nicht nur traumhaft, sondern wirklich gegenwärtig ist. Wenn er dann aus Furcht ausruft: «Wie Ehrfurcht gebietend ist doch dieser Ort!», sagt er weiter, was die Schola auch gesungen hat: «Er ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels» (Gen 28,17). Vom Eröffnungsgesang her ist eine Gottesbegegnung also nicht einfach etwas Niedliches. Eine Begegnung mit Gott kann bis ins Innerste erschüttern und Schutzschilde, die wir um unser verletzliches Ich aufbauen, durchbrechen, damit wir auch im Dunkeln unserer Herzen Heil erfahren.
Hier in meiner Welt, die ich mir eingerichtet habe, stürzt plötzlich die Welt Gottes, der Himmel, hinein. Dieser Eröffnungsgesang ist passend für das Weihefest unserer Gnadenkapelle gewählt worden, denn die Szene, in der Jakob bewusst wird: Terribilis est locus iste, ist im Gewölbe neben der Kapelle gemalt. Das heisst: Wer in Einsiedeln Gott begegnet, der oder dem kann der Himmel ins eigene Leben einbrechen und Veränderungen bewirken. Will ich das wirklich: Veränderungen, die von Gott kommen? Will ich mit diesem Gott wirklich eine Beziehung? Beziehungen sind zwar ein Geschenk, aber zugleich auch eine Herausforderung.
Liebe Schwestern und Brüder, gerade zwei Elemente aus diesem Gottesdienst zeigen, dass die Begegnung mit dem Himmel, mit Gottes Gegenwart, herausfordernd sein kann. Da ist einmal das Evangelium der Tempelreinigung, das so gar nichts festlich Schönes an sich hat. Vielmehr zeigt es einen Jesus, der unsere Gemütlichkeit stört. Er lässt unsere Geschäftigkeit einstürzen und erinnert uns an das Wesentliche: an die Beziehung mit dem lebendigen Gott, der uns aus dem Dahin-Vegetieren ins Leben reissen, vom geschäftigen Funktionieren zur Hoffnung der Auferstehung führen will: «Reisst diesen Tempel nieder und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten.» Und da ist das zweite Element: Diese ältesten Gewänder unseres Hauses, die ich trage. Sie sind nicht nur golden, sondern dunkelviolett. Sie erinnern daran, dass der 14. September eigentlich das Fest der Kreuzerhöhung ist, das Christentum also wie keine andere Religion das Kreuz, das Leiden in den Mittelpunkt stellt. Nach der Legende hat Kaiserin Helena das Kreuz Christi wiedergefunden und zur Verehrung aufstellen lassen, so wie sich ein Partikel dieses Kreuzes auch in unserer Gnadenkapelle unter der Madonna befindet. Mit dieser Reliquie wird am Schluss dieses Gottesdienstes der Segen gespendet. Religion ist in Einsiedeln also auch vom Datum her keine Wohlfühloase, sondern schliesst das Leiden mit ein: jenes von Christus, aber auch die unzähligen Leiden jener Menschen, die über die Jahrhunderte hierherkommen sind, um ihre Leiden Gott hinzuhalten. In dieses Leiden hinein, das wir alle mit uns tragen, sagt Gott: Hier ist das Tor des Himmels. Flieh es nicht, lass dich vielmehr von Gott verwandeln: Gott will das Heil für uns, will uns heilen.
Meine Lieben, unsere Klosterkirche zeigt auch architektonisch, dass es ihr um Kreuz und Auferstehung geht, um das Leiden als Einfalltor des göttlichen Lebens. Über unserer Gnadenkapelle wölbt sich der Himmel in einem sogenannten Oktagon, einem Achteck. Das Achteck steht seit der Antike für Vollkommenheit. Die Acht steht im Christentum auch für die Auferstehung Jesu Christi: für den Sonntag als dem Tag nach dem Ruhetag Sabbat, dem siebten Tag der Schöpfungsgeschichte. Dieser achte Tag ist der Tag der Auferstehung. Die Einsiedler Klosterkirche imitiert so den einst oktogonalen Raum in der Grabeskirche von Jerusalem, den runden Raum über der Kapelle, in der das Grab Christi verehrt – und damit seine Auferstehung geglaubt wird. In der Grabeskirche in Jerusalem befindet sich auch Golgotha, den Ort der Kreuzigung. Spannend im Vergleich mit Einsiedeln ist nun auch, dass sich im Innern der Grabkapelle von Jerusalem zwei Räume befinden: ein Vorraum, die sogenannte Engelskapelle, und die eigentliche Grabkammer. Die Engelweihe von Einsiedeln spricht also die gleiche Sprache wie die Grabeskirche von Jerusalem: Dort wo das Kreuz aufgerichtet ist, ist auch der Himmel zu finden: Christus und alle seine Engel. Wer das Leben der Auferstehung sucht, muss das Leiden nicht fliehen. So wie sich der Himmel der Engelweihe im Gewölbe über dem Kreuz in der Gnadenkapelle ausbreitet, so finden wir die Hoffnung auf das Leben in Gott nahe bei unseren Leiden. Wir sollen und dürfen sie darum anschauen und müssen sie nicht fliehen. Wir furchtgebietend ist doch der Ort meiner Verwundungen und Leiden!, können wir da singen.
Dass es, liebe Schwestern und Brüder, beim Fest der Engelweihe letztlich nicht um die Gnadenkapelle geht, sondern um uns Menschen, die mit unserer Hoffnung auf Heilung zu Jesus Christus, unserem eigentlichen Heiligtum, kommen, zeigt auch die heute Lesung aus dem Hebräerbrief, die von der Grösse unserer Berufung als Christinnen und Christen spricht. Eigentlich müsste diese Stelle aus dem Lesung gesungen werden, damit sich der Raum des Heils auch für unsere Ohren, aber sicher für unsere Herzen auftut, wenn es da heisst: «Ihr seid zum Berg Zion hinzugetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind, und zu Gott, dem Richter aller, und zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten, zum Mittler eines neuen Bundes, Jesus.» Amen.
Predigt von P. Jean-Sébastien Charrière im Pontifikalamt um 09.30 Uhr am 14. September 2022
Liebe Schwestern und Brüder
Mitten in der Wildnis, mitten im Finsteren Wald, hat sich vor bald 1200 Jahren der Reichenauer Benediktiner Meginrat als Eremit zurückgezogen. Nach seinem Tod versammelte sich eine Gemeinschaft um die Kapelle, die Meinrad selber erbaut hatte. Um diese Kapelle wurde ein Kloster gebaut, und um das Heiligtum wuchs später ein Dorf, damit die zahlreichen Pilgerinnen und Pilger empfangen und verpflegt werden können.
Die Legende erzählt, dass 948, als der Bischof Konrad von Konstanz hierherkam, um die Kapelle und die neue Klosteranlage zu weihen, erschien ihm ein Engel sagend, dass diese Kapelle schon geweiht ist. Christus hat sie selber zur Ehre seiner Mutter geweiht.
Mit der Engelweihe ist die Heilgenkreuz-Kapelle von Meinrad zur Gnaden-Kapelle geworden. Zahlreiche Ex Votos in der Sammlung des Klosters und auf den Wänden der Kirche weisen darauf hin, dass unzählige Menschen hier Gnaden bekommen haben.
Sind aber Gott und seine Gnade gegenwärtiger und wirksamer in der Gnadenkapelle als sonst in der Klosterkirche; oder im Heiligtum mehr als im Dorf; in Einsiedeln mehr als anderswo oder als in der Natur?
Diese Frage ähnelt dem Wort der Samariterin, als sie sich beim Jakobsbrunnen mit Jesus unterhielt: «Unsere Väter haben auf diesem Berg Garizim Gott angebetet; ihr aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten muss.»
Zur Zeit Jesu gab es in Israel zwei Tempel. Einer in Jerusalem auf dem Berg Zion, der andere in Samaria auf dem Berg Garizim. Für die Juden ist der Tempel der Ort der Gegenwart Gottes auf Erden. Die Samariter wurden von den übrigen Juden als Ketzer und unrein angesehen, weil sie Gott in einem anderen Tempel als dem von Jerusalem anbeteten und ihm dienten. Deshalb fragt die Samariterin Jesu, in welchem Tempel man Gott anbeten soll.
Auch wenn unsere Kirchen wunderbare Orte der Besinnung, die zum persönlichen Gebet und zur Anbetung einladen, und auch wenn dort die sakramentale Gegenwart Gottes im Tabernakel ist, erfüllen sie nicht mehr den gleichen Zweck wie jener des Tempels. Denn in Christus sind wir selber Tempel Gottes geworden. Unsere Kirchen sind in erster Linie Orte der Sammlung und des gemeinsamen Gebetes, des Teilens und des gemeinsamen Feierns – und vor allem das Feiern der Eucharistie.
Gott ist überall gegenwärtig. Und es gibt in ihm nicht ein mehr oder ein weniger. Er ist nicht mehr gegenwärtig in einer Kirche als ausserhalb einer Kirche. Gott ist überall ganz. Der Psalmist singt: «Wenn ich hinaufstiege zum Himmel – dort bist du; wenn ich mich lagerte in der Unterwelt – siehe, da bist du. Nähme ich die Flügel des Morgenrots, liesse ich mich nieder am Ende des Meeres, auch dort würde deine Hand mich leiten und deine Rechte mich ergreifen» (Ps 139, 8-10). Gott selber stellt fest: «Fülle ich nicht Himmel und Erde aus? – Spruch des HERRN» (Jeremia 23, 24). Im gleichen Sinn sagte die heilige Teresa von Avila, dass «Gott auch zwischen den Töpfen und Pfannen zu finden ist».
Gott ist allgegenwärtig, er ist überall, wo wir sind, in all unseren Aktivitäten, in all unseren Gedanken. In diesem Sinne ist jeder Ort ein heiliger und gnadenvoller Ort, weil Gott uns dort erwartet. Vor allem ist unser Alltag der Ort der Begegnung und des Gottesdienstes.
«Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten» (Johannes 4, 23-26) antwortete Jesus der Samariterin im heutigen Evangelium.
Wenn Gott allgegenwärtig ist und überall wirken kann, warum sollten wir dann pilgern, oder an besondere Orte gehen? Wenn wir berufen sind Gott überall zu loben, ihn anzubeten und ihm zu dienen, warum sollten wir Engelweihe feiern und der Gnadenkapelle einen besonderen Wert geben?
In unserem Glauben geht es nicht um einen magischen Ort, der besondere Kräfte ausstrahlen und uns dadurch heilen und Gnaden spenden sollte. Es geht um eine Begegnung. Eine Begegnung zwischen uns – eine Begegnung zwischen uns und mit Gott. «Da wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen» lehrte Christus (Mt 18,20). Als allgegenwärtiger und ewiger Gott ist er schon da, bevor wir uns begegnen, aber in der Begegnung wird er für uns erfahrbar. Der heilige Augustinus schätzte es, beim Teilen der Kommunion zu erinnern «Empfange was Du bist: Leib Christi. Werde was du empfängst Leib Christi». Gemeinsam bilden wir den Leib Christi, gemeinsam sind wir Kirche. Wir können nicht für uns allein Christ sein. Es geht immer um eine Begegnung, um ein gemeinsames Feiern und Teilen. Gott schenkt uns aber besondere Orte, wie zum Beispiel Einsiedeln oder die Gnadenkapelle, die uns helfen, uns seiner Gegenwart zu öffnen. Uns an schönen Orten zu treffen, zusammen zu feiern, das Wort Gottes gemeinsam zu hören, schöne Musik zu geniessen, sollte unsere Herzen ausdehnen und öffnen. Es schenkt Kraft, Zuversicht und neue Impulse. Das ist der Sinn unserer Wallfahrten und Heiligtümer.
Liebe Schwestern und Brüder
Das Fest der Engelweihe erinnert uns daran, dass dort, wo ein Herz sich öffnet, sich auch der Himmel öffnet. Dies ist auch unsere Berufung: aus unserem Alltag ein Engelweihe-Fest zu machen. Die heilige Hildegard von Bingen drückte es so aus: «O Mensch, in dir sind Himmel und Erde, du kannst aus dieser Welt einen Himmel auf Erden machen.» Amen.
Impuls von Abt Urban in der Feierlichen Komplet mit Eucharistischer Prozession um 20.00 Uhr am 14. September 2022
Liebe Schwestern und Brüder
Der 1. Thessalonicherbrief, aus dem wir eben einen Satz vernommen haben (Der Gott des Friedens heilige euch ganz und gar und bewahre euren Geist, eure Seele und euren Leib unversehrt, damit ihr ohne Tadel seid, wenn Jesus Christus, unser Herr, kommt. – 1 Thess 5,23), ist das älteste Schriftstück des Christentums, nur rund 20 Jahre nach dem Tod Jesu geschrieben. Was schreibt der hl. Paulus dieser jungen Kirche? Er ruft die Gläubigen auf, im Glauben nicht zu erlahmen, sondern wach zu sein und in der Hoffnung auf die Wiederkunft Christi hin zu leben.
Konkreter schreibt Paulus in diesem Brief, dass viele Menschen meinen, sie leben in Frieden und Sicherheit, doch ein Unglück könne plötzlich über uns kommen (vgl. 5,3).
Ist das nicht unsere Erfahrung der letzten Jahre: Eben noch fühlten wir uns sicher und in Frieden, und plötzlich kommt eine Pandemie über uns, ein Krieg steht vor der Türe und Flüchtende kommen zu uns? Friede ist kein Zustand, es gilt, sich für den Frieden einzusetzen.
«Haltet Frieden untereinander!» (vgl. 5,13), schreibt darum der hl. Paulus in diesem Brief. Und dann folgt der Satz, den wir als Lesung gehört haben: «Er selbst, der Gott des Friedens, heilige euch ganz und gar und bewahre euren Geist, eure Seele und euren Leib unversehrt.» Es ist ein Segenwort für Menschen, die den Frieden suchen. Weil Gott der Gott des Friedens ist, können wir den Frieden wagen.
Papst Franziskus hat die Weltkirche aufgefordert, am heutigen Tag für den Frieden in der Ukraine und auf der ganzen Welt zu beten. Die Schweizer Bischofskonferenz beauftragte nun uns hier in Einsiedeln, während unserer Prozession an Engelweihe besonders für den Frieden in der Ukraine und auf der ganzen Welt zu beten. Da muss uns ein Herzensanliegen sein. Gerade die Religion darf nicht für Kriegszwecke missbraucht werden. Um es mit den Worten von Papst Franziskus während seiner jetzigen Reise nach Kasachstan zu sagen: «Gott ist Frieden und führt immer zum Frieden, niemals zum Krieg.» Wenn wir uns nachher mit dem Allerheiligsten, mit Christus in unserer Mitte, in einer Prozession auf den Weg machen, dann segnen wir uns und die Welt mit der Bitte des hl. Paulus: «Haltet Frieden untereinander!