
P. Daniel Emmenegger am Hochfest Mariä Geburt
„Denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen“ (Mt 1,21).
Schwestern und Brüder im Herrn, dass der ewige Gott selbst als der eine und einzigartige Mensch Jesus in unsere Welt kommt, um uns von unseren Sünden zu erlösen: Das meint das heutige Fest, dessen Anlass die Geburt der Gottesmutter ist; die Geburt gleichsam des Raumes, in welchem Gott unsere Menschennatur angenommen hat.
Die Offenbarung lehrt uns – und ein Stück weit vielleicht auch unsere eigene Lebenserfahrung –, dass der Mensch – also wir! – erlösungsbedürftig sind. Wir müssen aus einer Schieflage befreit werden, in die wir – und durch uns die Welt – am Anfang unserer Geschichte geraten sind; aus Gründen, die uns im Letzten nicht vollends erklärlich sind. Diese Schieflage besagt im Kern, dass auf Seiten des Menschen die Erkenntnis Gottes, wenn nicht ganz erloschen, so doch stark getrübt ist.
Aus dieser Schieflage kann sich der Mensch selbst nicht befreien. Er kann sich nicht selbst „erlösen“. Ja, es fällt ihm sogar schwer, seine Schieflage als solche zu erkennen, denn für ihn ist sie eigentlich der „Normalzustand“: Wo alles schief ist, ist das Schiefe eben „normal“ – „normal“ gerade auch für eine wissenschaftsgläubige Gesellschaft unserer Zeit, die unreflektiert davon ausgeht, dass die Wissenschaft uns die Welt und den Menschen zeigt, wie die Welt und der Mensch objektiv gesehen eben wirklich sind. Welch ein Irrtum, von dem auch etliche Theologen auszugehen scheinen! Es gibt für den Menschen keinen objektiven, neutralen Standpunkt, um gleichsam von ausserhalb auf die Welt, auf die Natur und auf sich selbst zu schauen. Auch nicht für den Wissenschaftler. Gute Wissenschaftler wissen das!
Wie um Himmels willen aber finden wir aus dieser Schieflage heraus? Ich meine, dass sich das viele Menschen gerade angesichts politischer, ökologischer, ökonomischer und sonstiger Krisen de facto fragen. Dennoch halte ich diese Frage für irreführend, denn sie drängt den Menschen, der in Schieflage ist, in einen blinden Aktivismus, die Welt und sich selbst nach eigenen Massstäben (man nennt das: „autonom“) und aus eigener Kraft zu „erlösen“. Wohin das führt, zeigt uns die Geschichte zur Genüge: Es endet immer in Gewalt und Tyrannei. Und das ist, obwohl es immer wieder aufs neue sehr weh tut, im Grunde langweilig.
Viel spannender wäre die Frage: Was tut Gott angesichts unserer Schieflage? Eines sicher nicht: Er biegt nicht einfach wieder gerade, was schief geworden ist; er löst nicht einfach unsere Probleme. Das wäre vielleicht ja ganz nett und würde uns womöglich auch viele Schmerzen ersparen. Wir wissen es nicht. Aber es würde wohl bedeuten, dass Gott den Menschen nicht ernst nimmt. Gott aber nimmt den Menschen ernst. Er biegt nicht einfach gerade, löst nicht einfach Probleme, sondern er eröffnet dem Menschen inmitten seiner Schieflage und all seiner Probleme einen Raum des Heils, in den er eintreten kann als der schiefe Mensch, der er ist und mit den Problemen, die er hat. Aber nicht, um schief zu bleiben, sondern um sich – endlich! – zu bewegen: Auf Gott hin, im Geist und in der Wahrheit anbetend, indem er sich an den auferstandenen Christus bindet und diese Bindung lebt, indem er den Spuren unzähliger Menschen folgt, die diesen Weg vor ihm gegangen sind. Auf diesem Weg wird der Mensch selbst im Innersten verwandelt und ganz allmählich beginnt er die Probleme, mit denen er in den Raum des Heils eingetreten ist, in neuem Licht zu sehen, auch wenn dabei nicht gleich die ganze Welt gerade gebogen wird.
Christus aber hat sein Volk von seinen Sünden erlöst! Amen.