
P. Lukas Helg zu Maria Aufnahme in den Himmel 2022
Liebe Pilgerinnen und Pilger!
Was glauben Sie: welcher Tag dieses Jahres wird wohl in die Geschichtsbücher eingehen? Ziemlich sicher der 24. Februar, der Tag des russischen Einmarsches in die Ukraine, der Tag, an dem der immer noch andauernde grausame Krieg auf europäischem Boden begann. Wer hätte das für möglich gehalten? Im Oktober 1944 geboren, zähle ich zu jener Nachkriegsgeneration, die sich geschworen hat: „Nie wieder Krieg“. Und jetzt dieser Krieg. Der Friede in Europa hat nicht einmal 100 Jahre gehalten. Ein neuer Diktator ist da und lässt in einem sinnlosen Krieg unzählige unschuldige Menschen töten – und das nur wenige Flugstunden von uns entfernt. Wir sind entsetzt, beunruhigt und verunsichert. Jetzt sind wir hier zum Gottesdienst versammelt – in diesem wunderbaren Haus der Königin des Friedens. Chor und Bläser musizieren die eindringliche Messe der Königin des Friedens von Paul Huber. Wir bestürmen sie: „Liebe Muttergottes, Königin des Friedens, lege bei Deinem Sohn Fürsprache ein. Flehe ihn an, er möge die Welt vor einem Dritten Weltkrieg verschonen“.
Alle singen: Muttergottes, wir rufen zu dir.
Wenn täglich nicht weit von uns entfernt Unschuldige sterben, kommt auch bei uns eine Frage auf, der wir sonst gerne aus dem Wege gehen: Was passiert nach dem Tod eines Menschen? Das heutige Fest kann uns dabei einen Impuls und eine Antwort geben. Hinten im Alptal stehen die beiden Berge, der Grosse und der Kleine Mythen. Der Grosse steht für mich heute für das heilige Osterfest, der Kleine für das Fest, das wir heute feiern: ein kleines Ostern, mitten im August, mitten im heissen Sommer, das Hochfest der Aufnahme Marias in den Himmel. Wir sollten nicht von Maria Himmelfahrt sprechen. Dieser Name rückt das menschliche Tun Marias zu sehr in den Vordergrund rückt. Er erinnert zu stark an Christi Himmelfahrt. Dabei hat Maria in Bezug auf das heutige Fest rein gar nichts getan. Es wurde ihr alles geschenkt. Sie wurde mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. So hat es Papst Pius XII. im Jahre 1950 feierlich verkündet.
Es ist uns wohl allen klar: dieses Dogma und das heutige Fest bilden nicht das Zentrum unseres Glaubens. Im Zentrum steht das Osterfest mit seiner Botschaft: Christus ist zum Leben auferstanden. Gott hat seinen Sohn nicht im Grab gelassen. Jesus lebt. Dieser Osterglaube wird seit dem ersten Osterfest von Generation zu Generation weitergegeben. Wir haben es in der Lesung gehört. Der Apostel Paulus schreibt an die Korinther:“ Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht. Es gibt aber eine bestimmte Reihenfolge: Erster ist Christus, dann folgen, wenn Christus kommt, das heisst: am Jüngsten Tag, alle, die zu ihm gehören.“
Schon sehr früh stellten sich die Christen die Frage: “Gilt das auch für Maria? Muss auch Maria bis zum Jüngsten Tag warten, bis sie ihrem Sohn leibhaftig begegnen kann?“ Nein – sagt eine katholische, weit ins erste Jahrtausend zurückreichende Tradition. Nein – Maria musste nicht warten wie alle anderen Menschen. Der göttliche Sohn hat für seine irdische Mutter eine Ausnahme gemacht. Er hat sie am Ende ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele, das heisst als ganzen Menschen, in den Himmel aufgenommen. Seither ist Maria im Himmel. Unsere Schwester im Glauben hat jenes Ziel bereits erreicht, zu dem wir alle noch unterwegs sind. Darum können wir sie heute bestürmen: „Liebe Muttergottes, Königin des Friedens, lege bei Deinem Sohn Fürsprache ein. Flehe ihn an, er möge die Welt vor einem Dritten Weltkrieg verschonen“.
Alle singen: Muttergottes, wir rufen zu dir.
Die Verkündigung des Dogmas im Jahre 1950 durch Papst Pius XII. hat viele Katholikinnen und Katholiken irritiert. Vielleicht deshalb, weil sie nicht verstanden, was der Papst eigentlich wollte. Er wollte ein starkes Zeichen setzen – 5 Jahre nach dem grausamen Zweiten Weltkrieg und der Ermordung von 6 Millionen europäischen Juden. Der Papst wollte sagen: Schaut! Hier ist eine jüdische Frau, Maria, Braut des Juden Joseph und Mutter des göttlichen jüdischen Kindes Jesus von Nazareth. Sie ist als erste der Erlösten auf immer als ganzer Mensch bei ihrem Sohn. Ein starkes Zeichen: ewiges Leben bei Gott gegen die Herrschaft des Todes im Krieg und in den Krematorien der Nazis.
Liebe Pilgerinnen und Pilger!
Das heutige Fest ist sehr aktuell. Zum Glück gibt es den 15. August. Wir feiern das Leben, das uns durch den Tod nicht genommen werden kann. Mag der Mensch für den Menschen auch wie ein Wolf sein, es wird ihm nicht gelingen, einen anderen Menschen in seiner Einzigartigkeit vor Gott auszulöschen. Das wird auch Putin und seinen Helfern nicht gelingen. Seit dem 24. Februar wütet der Krieg in der Ukraine. Viele Menschen verloren nicht nur ihr Leben. Viele verloren auch den Glauben an den Sinn ihres Daseins. Eine Perspektive für ihr Leben ist ihnen genommen worden. Gott schenkt uns heute eine neue Perspektive. An Maria, unserer Schwester im Glauben, können wir sie ablesen. Sie ist nicht von Menschen gemacht – sondern von Gott in seiner unbeschreiblichen Liebe zu uns uns geschenkt. Maria ist am Ziel. Bestürmen wir sie heute: „Liebe Muttergottes, Königin des Friedens, lege bei Deinem Sohn Fürsprache ein. Flehe ihn an, er möge die Welt vor einem Dritten Weltkrieg verschonen“.
Alle singen: Muttergottes, wir rufen zu dir.
Zum Schluss. Maria ist am Ziel. Wir sind noch auf dem Weg dorthin. Wer von der Holzegg aus das Gipfelrestaurant auf dem Grossem Mythen sieht, der läuft ihm freudiger entgegen. Das wünsche ich uns allen!
Amen.