
P. Justinus Pagnamenta am Dreifaltigkeitssonntag
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
An diesem ersten Sonntag nach Pfingsten sind wir eingeladen, über das Geheimnis der hl. Dreifaltigkeit nachzudenken. Wir Christen glauben an einen Gott in drei Personen; an den dreifaltigen Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist.
Es ist das zentrale Geheimnis des christlichen Glaubens und Lebens. So wundert es nicht, dass im Laufe der Jahrhunderte unzählige Theologen sich abgemüht haben, den Glauben an den dreifaltigen Gott auf verschiedenste Weise zu erklären. Aber heute noch muss die Kirche zugeben, dass die Glaubenswahrheit der heiligen Dreifaltigkeit ein unaussprechliches Mysterium bleibt, das unser menschliches Vorstellungsvermögen sprengt.
Man erzählt vom hl. Augustinus diese Geschichte: Eines Tages ging Augustinus am Meer spazieren und dachte über das Geheimnis der Dreifaltigkeit nach. Irgendwann begegnete er am Strand einem Kind. Das Kind hatte ein Loch in den Sand gegraben und lief nun mit einer Muschel in der Hand immer wieder zum Meer, schöpfte Wasser mit seiner Muschel, rannte zurück und goss das Wasser in das Loch. Nach einiger Zeit fragte Augustinus: «Was machst du denn da?» Und das Kind antwortete ihm: «Ich möchte das ganze Meer in dieses Loch giessen!» Augustinus schüttelte den Kopf und sagte: «Das ist doch unmöglich. Du kannst das grosse, weite Meer doch nicht in dieses kleine Loch füllen!» Da richtete sich das Kind auf und sagte: «Ich mache es genauso wie du: Du bildest dir ein, das grosse Geheimnis des dreifaltigen Gottes in deinem kleinen Kopf erfassen zu können!».
Auch der grosse hl. Augustinus, der ein 15-bändiges Werk über die Dreifaltigkeit geschrieben hatte, musste sich eingestehen, dass dieses Geheimnis sich dem menschlichen Fassungsvermögen entzieht. Können wir dann mit dieser Glaubenswahrheit überhaupt etwas anfangen?
Uns zu Hilfe kommt gerade das Wort Wahrheit. Im heutigen Evangelium war auch von Wahrheit die Rede: «Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wir er euch in der ganzen Wahrheit leiten» (Joh 16,13). Wenn Jesus von Wahrheit spricht, meint er nicht bloss eine Summe von Dogmen oder theologischen Formeln. Die Wahrheit, von der Jesus spricht, ist nicht etwas, das wir mit unserer Vernunft erkennen, mit unserem Wissen besitzen oder mit einem langjährigen Studium erlangen können.
Gerade deswegen sagt uns Jesus nicht, dass der Heilige Geist uns in die ganze Wahrheit führen wird, als ob die Wahrheit ein Ziel wäre, das wir ein für alle Mal erreichen könnten. Vielmehr sagt uns Jesus, dass der Heilige Geist uns in der Wahrheit leiten wird. Die Wahrheit ist kein Ziel, sondern vielmehr ein Raum, in dem wir leben. Auch im Gespräch mit Nikodemus spricht Jesus von der Wahrheit nicht als etwas, das man erkennen, sondern als etwas, das man tun soll: «Wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht» (Joh 3,21).
An dieser Stelle müssen wir uns fragen: Was bedeutet die Wahrheit tun? «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben» (Joh 14,6) – sagt uns Jesus. Wenn Jesus die Wahrheit ist, bedeutet die Wahrheit tun, so zu leben, wie Jesus gelebt hat. Damit ist natürlich nicht eine theatralische Darstellung des Lebens Jesu gemeint. Das wäre gar nicht möglich; wir leben in einem ganz anderen Kotext.
Die Wahrheit tun – so leben, wie Jesus gelebt hat – bedeutet, in uns die gleiche Gesinnung wie Jesus zu haben (vgl. Phil 2,5). Wir sollten uns immer wieder fragen: «Was würde Jesus in dieser konkreten Situation an meiner Stelle tun?» Mit unserem Leben, unserem Dasein und unserem Tun sollten wir ein lebendiges Evangelium werden. Wer uns begegnet, wer uns nahesteht, sollte sich bei uns wohlfühlen, weil unser Leben eine Aktualisierung des Evangeliums im Hier und Jetzt ist – oder zumindest sein sollte. Und das Evangelium ist eine frohe Botschaft, die Freude bringt.
Je mehr wir unser Leben dem Leben Jesu angleichen, desto mehr werden wir in der Lage sein, das Geheimnis des dreifaltigen Gottes durchzudringen, denn in Jesus haben wir Anteil am Leben der seligen Dreifaltigkeit. Es geht nicht um ein Verstehen mit der Vernunft, vielmehr um ein Verstehen mit dem Herzen. Denn manche Dinge kann man nicht in Worte fassen oder mit der Vernunft verstehen. Es wäre, als würde man versuchen, die Liebe mit Worten zu erklären; es ist schlicht und einfach nicht möglich. Manche Dinge versteht man erst, wenn man sie lebt.
Liebe Schwestern und Brüder!
Die Glaubenswahrheit der heiligen Dreifaltigkeit ist von Anfang an der Urgrund des lebendigen Glaubens der Kirche. Durch die Gnade der Taufe sind wir dazu berufen, nicht so sehr dieses Geheimnis zu begreifen, sondern vielmehr es zu leben. Wir sind berufen, am Leben der glückseligen Dreifaltigkeit teilzuhaben. Den Zugang dazu haben wir in Jesus Christus, indem wir so leben wie er gelebt hat. Es lohnt sich, denn es ist Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott, es ist ewiges Leben.
Amen!