P. Gregor Jäggi am Ostersonntag

17.04.2022

Alle merken es: Minimalismus im Maximalismus, der Rahmen grossartig, das Zentrum schlicht. Bei keinem Fest kontrastieren Tagesevangelium und liturgische Feier so stark. An Weihnachten und an Pfingsten setzen jubilierende Engelschöre und mitreissender Sturmbraus die Massstäbe für unseren Lobpreis und die Überschwänglichkeit der Seele. Und hier: „Dann kehrten die Jünger wieder nach Hause zurück“. Kein Triumphgesang, keine grossen Worte, keine Verheissung, nur eine kleine beiläufige Andeutung: „er sah und begann zu glauben“. Hat es diesem Evangelisten, sonst so reich an Tiefsinn, die Sprache verschlagen? Was wäre, wenn wir für Ostern nur diese eine kleine Geschichte der die Zeitenwende bedeutenden Verkündigung hätten, gerade vom Evangelisten mit der erhabensten Sprache? Ich denke, dass die Kirche einen sehr guten Glaubensinstinkt bewiesen hat, dass sie als Zentrum der Osterverkündigung gerade dieses minimalistische Evangelium wählte. Wir sind dankbar für alle anderen Osterberichte, die sich jedoch an dieser Art von Glaubensbotschaft messen lassen müssen. Warum? Weil dieser Glaubensbericht das Geheimnis Gottes ehrfürchtig birgt, uns keine Spekulationen erlaubt und dem notwendigen persönlichen Glaubensweg Raum gewährt. Schon am Anfang des Johannesevangelium heisst es schlicht: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (1,18). Seine letzte Kundschaft war das Kreuz, des Vaters Kundschaft das verklärte Leben. Wie kann man diese Kunde weitergeben, die so sehr aus Gott kommt, ja seinem Innersten entspricht? Mit Worten darf dies nur in anbetender Verhüllung, in scheuer Andeutung geschehen. Genau dies tut die heutige Verkündigung.

Wir können dieses eingeborgene Gottesgeschehen in einigen Schritten zu deuten versuchen. Ja, das dunkle Grab, das nur gerade die gute Ordnung der hellen Umhüllungen des verschwundenen Leichnams erkennen lässt, ist wie ein Vorhang, der das Geheimnis Gottes verhüllt. Wir sollen es nicht ergründen wollen, weil es uns übersteigt und auf falsche Fährten führt. Es ist das Symbol der Gottesverhüllung am Kreuz und es insistiert so ehrfurchtsvoll auf den unfassbaren Skandal des Kreuzes, weil der Kundebringer Gottes hier endete: in den Augen der Menschen reine Torheit und Verworfenheit. Und zugleich lehrt diese Verhüllung uns die Ehrfurcht vor Gottes Herrlichkeit. Vor der göttlichen Lebenskundgabe kann der Mensch nur wie Elija in Schweigen das Haupt verhüllen, nach innen gehen. Die Erweckung des Gekreuzigten war kein Supertrick Gottes, der im Nu in absoluter Überlegenheit eine unvorhersehbare Katastrophe wieder auf den Vorzustand korrigiert und alle Spuren des Unterganges beseitigt. Nein, es ist nicht ein Wundertrick, sondern es ist Offenbarung der unterdrückten Wahrheit, dass die Erweckung die Konsequenz des Lebensweges des gekreuzigten Jesus ist, der nun als Sohn in seiner Menschheit und Gottheit durch den Heiligen Geist ganz im Vater lebt. Das Kreuz ist nicht leider notwendige Durchgangsstation zum neuen Leben, die jetzt glücklicherweise als erledigt abgetan werden darf. Das Kreuz ist vielmehr auf immer Gottes Gnadenthron. Es geht nicht um die Wiederherstellung des alten Zustandes, nein, unerhört Neues ist geschaffen worden in tiefster Menschenfinsternis, weil Gott Gott ist. Was können wir erahnen?

Die Verhüllung neigt sich demütig vor der unfasslichen Weisheit Gottes und schützt sie so vor Banalisierung: das Kreuz gehört in das Leben Gottes hinein und auch in unseres. Des Gottessohnes ungeschuldete Selbsterniedrigung, seine Selbstlosigkeit bis ins Letzte, ins Fleisch gekommen als der Letzte, das ist sein wahres göttliches Leben, das ist seine Liebe. Das ist eine ganz provozierende Verkündigung, die von Anfang an in Zweifel gezogen wurde und auch heute heftigste Ablehnung erfährt. Von diesem Gott, der das Leben gibt, es erhält und vollendet, von diesem Gott kann man nur im Geist der Anbetung und des Nichtwissens sprechen; von ihm darf nur scheu verhüllt gesprochen werden. Gott hat sich in völliger Souveränität selbst in der Erweckung Jesu offenbart. Er hat bestimmt, dass – bloss menschlich gesehen – tiefste Erniedrigung und höchste Erhöhung in Gott das Gleiche sind. Kreuz und Erweckung Jesu sind beide göttliches Schöpfungshandeln, für Menschen völlig widersinnig. Gottes schöpferische Liebe ist und bleibt auch im Tode gegenwärtig. Das können wir mit unserer Erfahrung und unserem Verstand nie erfassen. Deshalb brauchen wir wie Petrus und der Lieblingsjünger die geistliche Verhüllung des Geheimnisses im Symbol der dunklen Grabeshöhle. Sie gibt uns – wie den Jüngern – die Möglichkeit, uns selbst von allen Ideen und Vorstellungen frei machen zu lassen, welche die wahre Erkenntnis des lebendigen Gottes verstellen.

Diejenigen, welche die Auferweckung des gekreuzigten Jesus den Menschen verkündeten, brauchten zuerst die eigene Verhüllungserfahrung des Ostermorgens, leer werden für den Glauben. Jetzt lehrte sie der vom Auferweckten ausgehende Geist die lange Gottesgeschichte Israels zu deuten. Sie haben nicht besser studiert, sondern hinter der Geschichte mehr gesehen, die verbergende Hülle fiel weg. Sie waren sich klar, dass sie keine eigenen Konstrukte vorlegten, sondern dass sie nur in der Macht von Gottes Geist redeten, nachdem sie die Finsternis erfahren hatten, welche die inneren Hindernisse fallen liess. Sie waren auch klarsichtig genug für das Geheimnis, dass einige Menschen von diesem Geist ergriffen würden und den Glauben annahmen, andere hingegen nicht; ja, auch Gottes Erwählungswille ist verhüllt. Sie waren sich klar, dass nicht sie, sondern nur Gott selbst die Botschaft zur Geltung bringen kann. Gottes Tun ist nicht der Menschen Tun, aber der Menschen Tun in der Glaubensgemeinschaft muss dahin ausgerichtet werden, dass sich das Wort vom gekreuzigten und auferweckten Jesus selbst Geltung verschaffen kann. Dazu brauchen alle Kirchenglieder zuerst die innere Verhüllungserfahrung im Geist, das Anstossen in ihrer dunklen Grabeshöhle, damit sie Zeit und Raum haben, sich entsprechend zu reinigen, sich erfüllen zu lassen und dem Wort zu dienen: das heisst zu lieben wie der auferweckte Gekreuzigte.

Wir erkennen jetzt auch, weshalb einer der Jünger in der Verhüllung des dunklen Grabes zu glauben beginnt. Nicht aus eigenem Vermögen, sondern weil Jesus ihn liebte (nicht umgekehrt). Noch ist es ein weiter Weg bis zum vollen Glauben, aber die Brücke ist geschlagen, weil die Liebe sich ihm konkret gezeigt hatte. Der geliebte Jünger kann seine Erfahrung der Taten und Worte Jesu von Gottes Heil und Nähe durchgehen und entdecken, dass sie bis ins Letzte wahr geworden sind. Jesus ist der Sendbote des wahren Gottes, so sehr verkannt. An Jesus, dem aus, mit und in Gott Liebenden, hat sich die Liebe, die Gott ist, als neu schöpfende Herrlichkeit bewahrheitet.

Wir Glaubende sind heute ebenso auf die tiefe Erfahrung der dunklen Grabeshöhle angewiesen als JüngerInnen, genau so wie damals Petrus und der geliebte Jünger. Sie allein führt uns in die anbetende Ehrfurcht vor dem Gott des Lebens, weil sie zwingt, uns zu leeren von unseren Vorstellungen, Wünschen, Erwartungen, ungeeigneten Gottesbildern. Da sich der wahre Gott im seinem gekreuzigten und auferweckten Sohn wahrhaftig geoffenbart hat, hat dies für uns Folgen. Die Welt scheint vielleicht gottlos, ist sie aber nicht. Wir dürfen schon wissen, dass die Mächte des Todes, der Sünde, der Destruktivität trotz ihrem Machtgehabe nie siegen können. Wir müssen nicht aus der Welt fliehen. Gottes rettende Gegenwart trägt das Leben, aber verhüllt auf Hoffnung hin. Wir müssen nicht unterschlagen, dass unsere Lebenswelt zwiespältig ist, selbst unsere besten Seiten und gute Verhältnisse sind brüchig. Dem sind wir ausgesetzt, denn noch sind wir wie die beiden Jünger auf dem Weg. „Sie gingen wieder nach Hause“; einfach so? Nein, wir wissen, dass sie vielmehr schon auf dem Weg zum Vater waren, wie wir heute, begleitet vom Auferweckten, der in seiner erhöhten Herrlichkeit unser aller Vollendung schon in sich trägt. Noch ist sie verhüllt, aber hier ist Gottes Samenkorn, Minimalpräsenz mit Maximalhoffnung. Amen.