
Predigt am Hochfest Fronleichnam 2021
Predigt von P. Lorenz Moser am Hochfest Fronleichnam, 3. Juni 2021
Liebe Brüder und Schwestern
„Niemand hat Gott je gesehen“. So steht es lapidar im Johannesevangelium (Joh 1.18). Auch die Zeitgenossen Jesu haben Gott nicht gesehen; sie sahen Jesus von Nazareth, den Sohn des Zimmermanns, aber nicht Gott.
Trotzdem wissen wir mittlerweile einiges von Gott, denn er selber hat eine vielfältige Brücke zwischen ihm und uns geschlagen, durch die er uns den Zugang zu ihm geöffnet hat:
– es ist Jesus Christus, in welchem Gott Mensch geworden ist, und der uns die Botschaft vom Vater gebracht hat.
– es ist die hl. Schrift insgesamt, die uns im Wort vielfältig Kunde von Gott gibt.
– es sind die Gelehrten und Theologen aller Zeiten, die uns durch ihre Überlegungen Gott näherbringen können.
– und es ist vor allem das Zeugnis von ungezählten Gläubigen aller Zeiten, durch das wir Gott besser kennenlernen können.
Aber es bleibt dabei: Gott wird nie selber sichtbar, er bleibt in der Sprache, in den Geschichten, in den Zeichen verborgen und muss stets neu entdeckt werden; letztlich wird er nur für die Augen des Glaubens sichtbar.
Das gilt nun auch für das spezielle Zeichen, das im Mittelpunkt des heutigen Festes steht: die eucharistischen Gaben von Brot und Wein, die Jesus als Zeichen seiner Gegenwart unter uns gewählt hat.
Bei einem Zeichen ist immer zu unterscheiden zwischen dem Zeichen selber und dem, was es beinhaltet bzw. worauf es hinweist, und da kann man den Akzent sehr verschieden setzen: bald mehr auf das Zeichen, bald mehr auf den Inhalt.
Im Mittelalter, als das Fronleichnamsfest entstanden ist, hat man vor allem die Gegenwart Jesu Christi in der Gestalt des Brotes und des Weines betont, die sog. „Realpräsenz“. Die scholastische Philosophie hatte dafür ein geniales Denkmodell zur Verfügung gestellt: man unterschied zwischen der äusseren Erscheinung und dem Wesen, der Substanz, und erklärte nun, dass bei den Einsetzungsworten die Substanz „Brot“ in den Leib Christi verwandelt werde – die berühmte Transsubstantiationslehre – von aussen gesehen weiterhin Brot, in Wirklichkeit aber nicht mehr Brot, sondern Leib Christi, eine Sichtweise, die vielen von uns noch bekannt sein mag, die aber dem heutigen Denken weitgehend fremd geworden ist. Dabei hatte man das Zeichen mehr und mehr aus den Augen verloren.
Wenn nun der Reformator Ulrich Zwingli statt „das ist mein Leib“ gesagt hat „das bedeutet meinen Leib“, hatte er wohl dieses Defizit vor Augen, doch katholischerseits hat man nun erst recht die inhaltliche Seite betont und festgehalten, und so ist es bis in die neuere Zeit geblieben.
Ich erinnere mich noch gut, wie der Pfarrer uns Erstkommunikanten erklärte, dass auch im kleinsten Stück der Hostie, das man auf der Patene fast nicht mehr sehen konnte, Jesus immer noch vorhanden sei. Vom Brot als Zeichen war keine Rede, ja ich wusste damals gar nicht, dass die Hostie ursprünglich ein Stück Brot ist.
Es ist schade, wenn das Brot als Zeichen so sehr in den Hintergrund rückt oder gar verschwindet, denn das Brot als Grundnahrungsmittel, als etwas, das wir zum Leben unbedingt brauchen, ist ein wunderbares Zeichen für das, was Gott uns in Jesus Christus geschenkt hat: seine Liebe, seine Zuwendung, sein Ja zu jedem von uns, genau das, was wir Menschen für unsere psychische und seelische Gesundheit brauchen und wonach sich heute viele Menschen sehnen.
Mit der einseitigen Betonung der Realpräsenz war noch etwas anderes verbunden: eine extreme, ja bisweilen übertriebene Ehrfurcht vor dem Leib Christi, sodass viele ihn nicht zu empfangen wagten, weil sie sich als unwürdig betrachten mussten. Und dabei hat sich doch Jesus vor allem der Sünder, der Versager, der Schwachen angenommen und sie zum Ärger der religiösen Elite ganz nahe an sich herankommen lassen.
Niemand hat Gott je gesehen: wir sind herausgefordert, ihn in den verschiedensten Zeichen zu entdecken und zu sehen, ohne dabei das Zeichen zu übersehen. Scheuen wir uns also nicht, das Brot wirklich als Brot zu verstehen und auch an Brot zu denken, wenn Jesus sagt: „Ich bin das Brot des Lebens“ oder wenn wir die Hostie in die Hand empfangen, und seien wir dankbar für dieses Brot, denn es ist Zeichen für die Hingabe Jesu Christi für uns Menschen.
Vergessen wir aber die Ehrfurcht nicht, wenn wir zum Tisch des Herrn hinzutreten, denn es ist Jesus Christus, der sich uns in der Gestalt des Brotes schenkt, wie immer wir seine Gegenwart auch verstehen mögen. Amen.