"Jesus blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsassen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter." (Markusevangelium 3,35)
"Jesus blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsassen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter." (Markusevangelium 3,35)

Predigt am 10. Sonntag im Jahreskreis 2021

06.06.2021

Am Sonntag, 6. Juni 2021 hielt Pater Theo Flury folgende Predigt, für welche er das Sonntagsevangelium Markus 3, 20 – 35 als Ausgangslage nahm:

Liebe Brüder und Schwestern

Die Angehörigen sagen von Jesus, er sei von Sinnen, übergeschnappt; sie sie sind angereist, um ihn mit Gewalt nach Hause zurückzuholen. Da sind weiter auch die von Jerusalem her gekommenen Schriftgelehrten. Sie stellen die Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen durch Jesus zwar nicht in Frage. Wohl aber zweifeln sie am Ursprung der in ihnen wirkenden Kraft und meinen schliesslich, dass Jesus den Teufel mit dem Teufel selbst austreibe.

Den Schriftgelehrten gibt Jesus in Form eines Gleichnisses Antwort, welches das Unsinnige ihrer Vermutung ins Licht hebt. Er schliesst mit einer scharfen Zurückweisung des Verdachts, dass er von einem unreinen Geist besessen sei: Wer das glaube, lästere den Heiligen Geist; und diese Lästerung werde in Ewigkeit nicht vergeben werden.

Jesus wirkt in der Kraft des Heiligen Geistes. Wir bekennen im Glaubensbekenntnis, dass der Heilige Geist Herr ist und lebendig macht, dass er aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht und mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird. In Lukas 11,20 wird der Heilige Geist bildhaft als Finger Gottes bezeichnet, durch den Jesus Dämonen austreibe. Sowohl Jesus als auch der Heilige Geist sind mit Gott untrennbar verbunden: Jesus als Sohn Gottes gehört nicht nur der Welt der Menschen an, sondern ebenso sehr der Welt Gottes. Damit aber übersteigt er alles menschenmögliche Verstehen und Begreifen.

Jesus Christus lässt sich nicht in unsere beschränkten Horizonte einordnen, nicht auf das Kreuz unserer Vorstellungen von ihm annageln.

Auch seinen Angehörigen gibt Jesus eine deutliche Antwort. Auf den Hinweis, seine Verwandten seien gekommen, fragt Jesus zurück: Wer sind denn diese? Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter. Im Vordergrund steht nicht die natürliche Abstammung, das rein Menschliche, sondern eine neue Ordnung, die von Gott ausgeht. Wenn Jesus aber von Gott spricht, meint er damit seinen Vater, der durch die Taufe in einem weiteren Sinn auch unser Vater geworden ist.

Eigentlich könnten wir das heutige Sonntagsevangelium als Nachklang der beiden kürzlich gefeierten grossen Feste verstehen: an Pfingsten stand der Heilige Geist im Mittelpunkt und am Dreifaltigkeitssonntag der eine Gott in den drei Personen von Vater, Sohn und Heiligem Geist.

Soweit zum Text. Was aber können wir für unser Leben mit nach Hause nehmen?

Wir machen uns oft ein bestimmtes Bild von unseren Mitmenschen, das nicht selten mehr mit uns zu tun hat als mit jenen, Ein solches Bild engt ein, legt fest und schafft Distanz, ja, schliesst uns ein in das Gefängnis der Vorurteile und Illusionen. Das Gleiche kann mit unserer Vorstellung geschehen, die wir uns von Jesus Christus machen. Wir bauen eine Beziehung zu dieser auf, ohne zu bedenken, dass er als Mensch, vor allem aber als Gott jeden uns vorstellbaren Rahmen sprengt. Einerseits sollen wir den grossen Linien folgen, die sein Bild zeichnen, den Evangelien, Paulus, den Glaubensbekenntnissen, die eine Frucht der ersten Konzilien sind. Andererseits müssen wir wissen, dass es sich auch hierbei nur um Andeutungen handelt, die zwar im Glauben wahr und verbindlich sind, aber bei weitem nicht alles ausloten. Sie reichen jedenfalls nicht weiter, als unsere menschliche Sprache reicht. Wir dürfen das, was Gott betrifft, nicht auf unsere Ebene herabziehen wollen, sondern sollen, im Gegenteil, uns von ihm auf seine Weise zu sich hinbewegen lassen.

Jesus Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, lässt sich nicht in unsere beschränkten Horizonte einordnen, nicht auf das Kreuz unserer Vorstellungen von ihm annageln.

Eine weitere Überlegung. Aus den Evangelien geht hervor, dass Jesus Kranke geheilt und Besessene befreit hat. Als ich Theologie studiert hatte, wurden die betreffenden Texte vorwiegend mythologisch oder psychologisch erklärt. Die Geschichten seien symbolisch zu verstehen, oder Jesus hätte durch seine mitreissende Persönlichkeit in den Menschen lediglich natürliche Selbstheilungskräfte mobilisiert. Klar: alles, was wir erfahren, läuft auf irgendeine Weise über unsere Sinne und unsere Leiblichkeit. Vielleicht wirken durch diese aber eben doch geistige und geistliche Kräfte, die von uns unabhängig sind, konstruktive und destruktive. Würden wir diese Möglichkeit grundsätzlich ausschliessen, würden wir vermutlich auch Gott nicht zugestehen, dass er im Natürlichen wirksam werden kann. Somit würde die Gnade zu etwas Abstraktem und rein Theoretischem. Diese Auffassung widerspricht dem Glauben der Kirche.

Ein Letztes. Erfülle ich den Willen Gottes? Gehöre ich mit meinem Sinnen, Trachten und Tun wirklich zu Jesus Christus? Der Wille Gottes für mich zeigt sich in jedem Augenblick meiner persönlichen Lebenssituation. Um ihn zu erkennen, muss ich mich vorbereiten wie jemand, der auf eine Entdeckungsreise geht. Da braucht es gutes Schuhwerk, entsprechende Kleidung, eine Sonnenbrille, Regenschutz und Proviant, die Fähigkeit zu Geduld und Achtsamkeit. Wir können Bedingungen schaffen, die uns helfen, den Willen Gottes zu erkennen. Eine fruchtbare Vorbereitung darauf besteht wohl weniger in der Fixierung auf eine starre Gesetzlichkeit als vielmehr in der dynamischen Entfaltung der Tugenden. Versuchen wir stets, klug, gerecht, masshaltend und tapfer die Herausforderungen des Alltags anzugehen, und, genährt durch den Empfang der Sakramente und das Wort Gottes der Heiligen Schrift, aus dem Glauben, der Hoffnung und der Liebe unser Leben in seinen vielfältigen Beziehungen kreativ zu gestalten.

Vielleicht bemühen wir uns, in diesem Sinn den Willen aufzuspüren und umzusetzen. Aber tun wir das in genügendem Mass? Sicher sollen wir nicht nachlässig sein. Mögen wir aber auch nicht scheitern an einer zu hohen Messlatte, die wir uns selbst gesteckt haben. Das würde uns niederdrücken und mutlos werden lassen. Vergessen wir nicht: das Wichtige geht ohnehin von Gott aus; legen wir unser Leben vertrauensvoll in seine Hände. Amen.