Predigt an Pfingsten, 23. Mai 2021

23.05.2021

Predigt an Pfingsten, 23. Mai 2021, von P. Patrick im Kloster Einsiedeln um 9.30 Uhr und 11.15 Uhr
Lesungen: Apg 2,1-11; Joh 20,19-23

Wir Menschen leben notgedrungen in Raum und Zeit. Das heisst: Alles, was wir tun und erfahren, geschieht an einem ganz bestimmten Ort und braucht seine Zeit. So ist nun einmal unsere Welt geschaffen – geschaffen von Gott, der allein jenseits von Raum und Zeit steht.

Weil wir in Raum und Zeit leben, ist auch unsere Sprache raumzeitlich strukturiert. Das sehen wir nicht nur an der Tatsache, dass Sprechen Zeit braucht, sondern auch daran, dass unsere Sprache eigens Begriffe für Raum und Zeit enthält, damit wir Abläufe und Geschehnisse, die in Raum und Zeit stattfinden, auch entsprechend erzählen können.

Diese raumzeitliche Struktur der Wirklichkeit, in der wir leben, und der Sprache, mit der wir darüber sprechen, erklärt, weshalb für uns Menschen das Reden über Gott und sein Wirken in der Welt schwierig ist. Denn Gott steht über Raum und Zeit.

Unser Sprechen über Gott kann ihn deshalb nie ganz erfassen und kann ihm deshalb nie ganz gerecht werden. – Das sehen wir besonders deutlich an den beiden Texten, die wir an Pfingsten so gerne hören.

Das Johannesevangelium schildert uns eine Erscheinung des auferstandenen Jesus vor seinen Jüngern am Ostertag, bei welcher Jesus seinen Jüngern zugleich auch seinen Geist überträgt.

Der Abschnitt aus der Apostelgeschichte, die eindrückliche Szene von der Herabkunft des Heiligen Geistes, das so genannte Pfingstereignis, findet dagegen erst 50 Tage nach der Auferstehung statt.

Wenn wir schon beim Vergleichen sind: Die Apostelgeschichte schildert Auferstehung, Himmelfahrt und Pfingstereignis als zeitlich und räumlich deutlich voneinander getrennte Ereignisse, während das Lukasevangelium, das ja vom gleichen Autor stammt, Jesus am Tag der Auferstehung auch gleich in den Himmel steigen lässt.

Wir sehen: Was die räumliche und zeitliche Abfolge betrifft, sind die neutestamentlichen Erzählungen von der Auferstehung Jesu, von seiner Himmelfahrt und von der Sendung des Geistes untereinander schlicht unvereinbar.

Diese Unvereinbarkeit liegt nun aber nicht daran, dass die einen Texte wahr wären und die anderen folglich falsch, sondern diese Unvereinbarkeiten haben ihren Grund genau darin, dass wir Menschen nur in Raum und Zeit erzählen können, während die Wirklichkeit Gottes und sein Handeln an uns Raum und Zeit übersteigen und deshalb immer nur unzureichend erzählt werden können.

Mit anderen Worten: Wir Menschen müssen Gottes Wesen und sein Wirken immer „aufteilen“ in einzelne Geschehnisse an einzelnen Orten, während Gott in sich Einer und ungetrennt ist und wirkt.

Ein mittelalterlicher Spruch drückt das wie folgt sehr genau aus: „Opera Trinitatis ad extra sunt indivisa“ – Das Wirken des dreifaltigen Gottes in Welt und Zeit ist ungeteilt, nicht aufteilbar in einzelne Geschehnisse und einzelne göttliche „Personen“.

Wir sagen zwar nicht ganz falsch, aber doch etwas naiv: Gott Vater ist Schöpfer des Himmels und der Erde; Jesus Christus, Gottes Sohn, ist unser Erlöser, und der Heilige Geist führt uns den rechten Weg durch diese Zeit.

In Wahrheit aber ist alles immer das eine Wirken des einen dreifaltigen Gottes, der als Einer Himmel und Erde im Dasein erhält, sich uns Menschen in Jesus von Nazaret ganz zu erkennen gibt und in seinem Geist bei uns bleibt, „alle Tage bis zum Ende der Welt“, wie es uns Jesus am Ende des Matthäusevangeliums verspricht. (28,20.)

Das Wissen darum, dass der dreifaltige Gott alles in Einem ist und wirkt, kann uns vor schwerwiegenden Irrtümern und ihren schlimmen Folgen schützen.

Es ist zum Beispiel nicht so, dass Gott Vater zur Erlösung der Menschen seinen geliebten Sohn am Kreuz verbluten lässt, wie manchmal behauptet wird. Das ist – so hat es ein Theologe einmal gesagt – „zwar gut für ein Passionsspiel, aber es ist schlechte Theologie“.

Gott opfert nicht seinen Sohn – eine solch missverständliche Formulierung macht aus dem biblischen Gott „ein Monstrum, das wir hassen müssen“, wie es Voltaire, der grosse Aufklärer und Gegner des Christentums im 18. Jahrhundert, einmal formuliert.

Doch der christliche Gott ist kein Monstrum, sondern dreifaltige Barmherzigkeit, die immer als Eine ist und handelt: Sie ist unser Schöpfer, sie ist unser Erlöser und sie ist unser Begleiter und „Tröster“ durch Zeit und Geschichte.

„Opera Trinitatis ad extra sunt indivisa“ – Das Wirken des dreifaltigen Gottes in Welt und Zeit ist ungeteilt, nicht aufteilbar. —
Vielleicht haben Sie sich auch schon gefragt, weshalb wir von diesem Wirken Gottes in der Welt und in unserem Leben so wenig spüren, so wenig direkt erfahren.

Wäre es nicht schön, wir würden eine Erfahrung des Auferstandenen machen wie seine ersten Jünger, oder wir würden auch Feuerzungen auf uns herabkommen sehen wie in der Apostelgeschichte geschildert? Aber eben: Letzteres ist nur ein Bild, das eigentlich etwas ganz anderes sagen möchte.

Gotteserfahrungen, die Erfahrung der Wirksamkeit Gottes in unserem Leben, das sind immer auch Deutungen, Deutungen von Ereignissen unseres Lebens aufgrund unseres Glaubens.

Das ist für uns gar nicht anders als für die ersten Frauen und Jünger um Jesus: Sie mussten lernen, die Ereignisse ihrer Zeit mit den Augen ihres Glaubens, d.h. mit den Augen des Alten Testamentes zu sehen. Sie haben gelernt, die Ereignisse zu deuten gemäss der „Schrift“, wie vor allem das Lukasevangelium sehr betont. (24,27.32.45.)

Eine direkte Erfahrung Gottes, eine direkte Erfahrung seines Geistes gibt es nicht, denn Gott ist nun einmal nicht fassbar, und vor allem: denn dann wären wir Menschen Gott gegenüber nicht mehr frei.

Gott hingegen handelt stets diskret, er bleibt dabei stets „inkognito“. Selbst in Jesus von Nazaret ist das der Fall: Jesus begegnet vielen Menschen; die einen erkennen in ihm den „Sohn Gottes“, die anderen lehnen ihn ab. Er zwingt sich niemandem auf. Das gilt auch für uns. Und das ist gut so.

Wir dürfen, wenn wir wollen, die Welt als gute Schöpfung Gottes sehen. Wir dürfen glauben, dass sich in Jesus von Nazaret zeigt, wer und wie Gott wirklich ist. Und wir dürfen noch heute, 2000 Jahre nach Jesu Leben und Sterben, in Gottes Gegenwart leben, „alle Tage bis zum Ende der Welt“.
Amen.