
Gedanken zu Pfingsten
Das Evangelium von Pfingsten (Joh 20, 19-23) ist für mich immer wieder eine Überraschung. Es gehört eigentlich zu den Osternberichten. Jesus erscheint nach seiner Auferstehung seinen Jüngern zum ersten Mal. Wenn wir es aber genauer lesen, entdecken wir, dass es ebenfalls zu Pfingsten gehört. Nachdem Jesus sich mit seinen Wunden zu erkennen gegeben hat, „hauchte er sie an und sagte: Empfangt den Heiligen Geist!“ (Joh 20,22). Johannes verbindet die beiden Ereignisse, Ostern und Pfingsten, Auferstehung und Geistsendung, miteinander.
Dieses unscheinbare Ereignis hinter verschlossenen Türen, unbemerkt von der grossen Öffentlichkeit, ist für mich eine grosse Entlastung gegenüber der anderen Erzählung aus der Apostelgeschichte über das Pfingstereignis (Apg 2,1-11). Dort kommt der Heilige Geist in heftigem Sturm und Brausen, sichtbar in Feuerszungen und von vielen Menschen aus aller Welt bemerkt. Die Apostel werden mit einem unbändigen Mut erfasst, der sie furchtlos vor die verschlossenen Türen treten lässt. Diese Geistausgiessung entwickelt eine ungeheure Dynamik von Jerusalem über Judäa und Samarien bis an die Grenzen der Erde und wird mit vielen sichtbaren Wundern (Apg 2,43) begleitet.
Die Erzählung dieser gewaltigen Bekehrungswelle der damaligen Menschen verunsichert mich, weil wir heute beten, dass dasselbe geschehe: „Was deine Liebe am Anfang der Kirche gewirkt hat, das wirke sie auch heute“ (Tagesgebet) und wir spüren nichts. Wir beten darum, dass der Heilige Geist in uns wirke und wir spüren kein neues Feuer oder Beben wie es anderswo in der Apostelgeschichte (4,31) beschrieben ist. Glauben wir etwa zu wenig, dass wir das Feuer des Heiligen Geistes zu wenig brennen spüren?
Die unterschiedlichen Erzählungen des Pfingstereignisses geben mir aber eine Entlastung. Dadurch, dass sie die Geistausgiessung so verschieden, ja sogar scheinbar widersprechend berichten, lassen sie mich erahnen und erfassen, dass es der Heiligen Schrift nicht darum geht, historische Begebenheiten genau zu protokollieren. Die Heilige Schrift will vielmehr. Sie will eine Botschaft vermitteln, die sich nicht auf wenige Fakten reduzieren lassen. Die Apostelgeschichte hebt auf der einen Seite das missionarische Zeugnis hervor, das schon in frühesten Tagen der Kirchen „nach aussen“ drang und den jüdischen Horizont überschritt. Das Johannesevangelium auf der anderen Seite ergänzt diesen nach aussen drängenden Aspekt mit der Wirkung „nach innen“. Die Begegnung mit dem Auferstandenen hinter verschlossenen Türen wird nicht von grossen Beben und Wundern begleitet und doch löst sie grosse Freude und einen inneren Frieden aus. Dieses verborgene Geschehen birgt ein unmerkliches, aber deutliches Wirken in sich.
Der Heilige Geist schenkte einen Frieden, eine Freude, einen Trost, dem ein innerer Drang folgte, aufzustehen, das Gute zu tun und ihr Leben hinzugeben. Wir erfahren die Früchte des Heiligen Geistes, die Paulus im Galaterbrief einzeln benannte: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“ (Gal 5,22f).
Das Wirken des Heiligen Geistes müssen wir nicht an den heftigen Stürmen und den sichtbaren Feuerzungen messen, sondern an den unmerklichen und deutlichen Beben, die in uns ausgelöst werden. Gottes Geist löste eine Freude aus, ein inneres Drängen und schenkt Trost in allen Umständen.
Deo gratias. Alleluja.
P. Cyrill